Haben Sie auch einen Lieblings-Virologen? Ich ja. Ich höre regelmäßig den Corona-Podcast auf MDR-Aktuell mit Prof. Alexander Kekule. Dreimal pro Woche stellt er in einem einstündigen Interview die neuesten Untersuchungen rund um Corona vor, beantwortet geduldig und mit viel Sachverstand die Fragen der Zuschauer*innen. Na ja, Lieblings-Virologe ist vielleicht etwas übertrieben, aber sagen wir besser: Ich schätze ihn für seine differenzierte und pragmatische Art, lebensnah und unaufgeregt. Ich kann ihm gut zuhören.
Medizinische, ethische und politische Aspekte
Ich brauche, um immer wieder meine Haltung zu den Corona-Themen zu finden, gute Informationen, differenziert und fundiert. Die nicht nur einseitig das virologische und epidemiologische Geschehen in den Blick nehmen, sondern auch die ethische, soziale und politische Dimension einbeziehen.
So habe ich erfreut aufgehorcht, als sich Herr Kekule bereits Ende April kritisch zu den Plänen geäußert hat, die Zulassung der mRNA-Impfstoffe auch für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren zu beantragen. Und diese Bedenken wiederholt er unermüdlich, sobald die Frage aufkommt.
Unterdessen kommen seit Wochen von seiten der Politik deutliche Worte: Kinder und Jugendliche im Sommer impfen, Schulöffnungen zum neuen Schuljahr nur mit hoher Durchimpfung möglich. Die Reisefreiheit für die Familie wird mit der Impfung auch der größeren Kinder schmackhaft gemacht, die Rückkehr zum sog. normalen Leben – also Gruppenveranstaltungen, gemeinsamer Sport – all dies kann mithilfe einer hohen Durchimpfung auch der jungen Generation schneller erfolgen, so die täglichen Nachrichten. Kaum hörte ich bislang kritische Worte, kaum ein medizinischer, sozialer und ethischer Diskurs, wie ihn Kekule fordert. (siehe Podcast #176 vom 29.04.2021 mit dem dringenden Appell, eine breite Diskussion vor der Zulassung zu führen, nicht erst, wenn diese erfolgt ist).
Nicht kurzfristig an Urlaub und Freiheiten denken, sondern Weitblick
Seine Argumentation, kurz zusammengefasst: Eine Impfung ist eine medizinische Intervention, und diese hat immer der Person einen Vorteil zu verschaffen, an der sie vorgenommen wird. Die Impfung von Kindern und Jugendlichen dient jedoch vor Allem der Reduktion der Infektionsrate, soll die Weitergabe der Infektion an Menschen mit höherem Risiko vermeiden helfen. Eine Erkrankung mit Covid-19 verläuft bei Kindern und Jugendlichen oft asymptomatisch oder hat einen milden Verlauf. Diese Aussagen sind inzwischen hinlänglich bekannt und werden im Podcast #186 vom 25.05.21 auch noch mit Zahlen unterlegt.
Kinder und Jugendliche haben eine lange Lebenszeit vor sich
Es leuchtet ein: Wenn sich Menschen in hohem Lebensalter impfen lassen, dann haben sie – im Vergleich zu jungen Menschen – eine viel kürzere Lebenserwartung. Sollten sich im Laufe der Jahre Langzeitfolgen der Impfung herausstellen, so haben die heutigen Kinder und Jugendliche ein viel größeres Risiko zu tragen als die älteren Menschen. Und das bei deutlich niedrigerem Risiko für eigenen schweren Verlauf, so Kekules bedachte Haltung: Auch wenn nach heutigem Wissensstand die neuen mRNA-Impfstoffe als sehr gut verträglich einzuschätzen sind, betont er (und dafür schätze ich ihn sehr): Wir wissen nicht mehr als wir heute wissen können und wir können Erkenntnisse, die sich erst in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zeigen könnten, heute nicht ausschließen. Also folgt daraus die Notwendigkeit zum gründlichen Abwägen, wir sollten das Thema mit Vorsicht und Umsicht angehen und offen diskutieren.
Nun auch Zurückhaltung vonseiten der STIKO
Sensibilisiert durch diese seit Wochen von Prof. Kekule geäußerten Bedenken, fällt mir die Überschrift „Stiko will Impfung für Kinder und Jugendliche offenbar nicht generell empfehlen“ in der heutigen Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung natürlich sofort ins Auge. Darin ist am 26.05.2021 zu lesen:
…Der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens hatte zuvor im Deutschlandfunk betont, es könne sein, „dass die Stiko den Vorstellungen der Politik nicht in allen Punkten nachkommen kann, da die Ergebnisse das unter Umständen nicht hergeben“. Wahrscheinlich werde die Stiko lediglich eine Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche mit bestimmten chronischen Erkrankungen aussprechen, berichtet das RND unter Bezugnahme auf mit der Angelegenheit vertraute Personen. Grund sei unter anderem eine unbefriedigende Datenlage. Diese erlaube es derzeit nicht, die Folgen einer Corona-Erkrankung für Kinder und Jugendliche gegen mögliche Risiken durch eine Impfung abzuwägen.
So ist dieser Morgen für mich ein guter Morgen. Ich freue mich, dass die STIKO diese Aussagen trifft. Die Diskussion scheint dadurch differenzierter zu werden. Nicht nur die Verantwortlichen aus Politik und Wissenschaft sollten diesen Diskurs führen, sondern auch Angehörige der medizinischen und heilenden Berufe, Erzieher und Lehrerinnen, Eltern und Großeltern. Wir alle sind aufgerufen, die Debatten der nächsten Wochen zu verfolgen und sich einzumischen. Es ist einfach eine andere Qualität der Verantwortung, ob Erwachsene für sich entscheiden oder für andere, für die Kinder und Jugendlichen.
Links zu den erwähnten Sendungen
Kekules Corona-Kompass: hier gehts zum Podcast
- #186 vom 25.05.2021: Impfung von Schülern kritisch diskutieren
- #176 vom 29.04.2021: Kinder impfen – das richtige Ziel?