Das Gesetz muss weg – das forderten westdeutsche Feministinnen in den 70er-Jahren, gingen auf die Straße und setzten sich für die Abschaffung des §218, für Selbstbestimmungsrecht der Frau und würdige Bedingungen für den Schwangerschaftsabbruch ein. Das Gesetz (der §219) muss weg – das fordert aktuell die Ärztin Kristina Hänel in einer Petition, die innerhalb weniger Tage bereits über 65.000 Unterschriften erhalten hat.
Der Hintergrund: Die engagierte Gießener Ärztin führt auch Schwangerschaftsabbrüche durch. Darüber informiert sie sachlich und knapp auf ihrer Webseite. Dies wird ihr – von Lebensschützern – nach §219a als „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ ausgelegt. Am 24.11. steht sie deswegen in Gießen vor Gericht.
Die bundesweit gültige gesetzliche Regelung
Dieser Prozess schlägt Wellen, lässt die verebbte Diskussion um den §218 wieder aufleben. Denn es war ja eher still geworden um den Paragraphen. 1976 trat in Westdeutschland die Indikationsregelung in Kraft. Gehofft hatten wir seinerzeit zumindest auf die Fristenregelung, wie sie ja auch im Osten gültiges Recht war.
Seit 1995 wurde nach langem Ringen um eine einheitliche Regelung die heute gültige Regelung mit Beratungspflicht verabschiedet. Inzwischen leben die Frauen in Ost und West einigermaßen mit der Situation, mit diesen Paragraphen. Ungewollt Schwangere finden heute einen Weg zum Schwangerschaftsabbruch: Ein flächendeckendes Netz an Beratungsstellen ist vorhanden, die die geforderte Beratungsbescheinigung ausstellen. Es gibt Praxen, Tageskliniken und Krankenhäuser, in denen der Schwangerschaftsabbruch nach der schonenden Absaugmethode oder medikamentös sachkundig und unter würdigen Bedingungen durchgeführt wird. Wenngleich in manchen Gegenden, gerade im ländlichen Bereich, die Suche nach einem Krankenhaus sich auch schwierig gestalten kann.
Frauengesundheitsbewegung in Ost und West – ein lohnender Austausch
Was heute gerade auch den jüngeren Frauen selbstverständlich scheint, ist das Ergebnis von jahrzehntelangem Engagement. Von Frauen wie Kristina Hänel und vielen anderen, die sich in den 80er-Jahren im Rahmen der erstarkenden Frauengesundheitsbewegung für Beratungsstellen und Zentren einsetzten, in denen Frauen einen ambulanten Schwangerschaftsabbruch schonend vornehmen lassen konnten. In einer Atmosphäre der Wertschätzung und des Verständnisses für diese so besondere Lebenssituation.
Ich kann diese Entwicklungen als in Hessen sozialisierte Frau nur aus der westdeutschen Perspektive beschreiben. Ein Austausch mit den ostdeutschen Frauen, die sich für Selbstbestimmung und würdevolle Bedingungen eingesetzt haben, wäre hier sehr wichtig und spannend!
Fünf Jahre habe ich selbst im ProFamilia-Zentrum Kassel gearbeitet. Hunderte von Beratungen nach §218 durchgeführt. Beim Schwangerschaftsabbruch assistiert und die Frauen in dieser schwierigen Situation begleitet. Mit engagierten Ärztinnen und Ärzten zusammengearbeitet.
Als eine solch erfahrene und engagierte Ärztin habe ich Anfang der 90-er Jahre Kristina Hänel kennen gelernt, der nun, im Jahre 2017 (!) der Prozess gemacht wird.
Sie fordert: Der Paragraph 219 muss weg! Es muss möglich sein, sachlich über die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruches zu informieren. Ich unterstütze diese Forderung und solidarisiere mich mit der Ärztin.
Ich wünsche mir eine neue lebhafte Diskussion, auch und gerade mit jungen Frauen, in Ost und West. Unsere Geschichte verstehen, für Selbstbestimmungsrecht einsetzen, für würdevolle Behandlungen.
Hier finden Sie die Berichterstattung der Frankfurter Rundschau und der EMMA
Hier der Link zur Petition