Wenn der Kinderwunsch einer Frau oder eines Paares sich nicht erfüllt, wenn irgendwann die Hoffnung auf Nachwuchs aufgegeben werden muss und eine neue Ausrichtung im Leben erforderlich ist, so betrifft das auch das Umfeld, die Eltern zum Beispiel, die nicht zu Großeltern werden. Diese systemische Perspektive nehme ich in dem nachfolgenden Artikel ein, den ich für die Seniorenredaktion der Thüriger Allgemeinen zum 30.08.17 geschrieben habe:
Über den unerfüllten Enkelwunsch, das Bedauern und das Abschiednehmen
Es sind diese besonderen Tage, die die Lücke spürbar werden lassen. Einschulung zum Beispiel. Die Zeitung ist in diesen Wochen voll mit Bildern der neuen Schulklassen. Strahlende Kinder, fein herausgeputzt, mit Riesenschultüten, die Lehrerinnen an der Seite.
Eltern, die nicht zu Großeltern werden, bleibt diese Freude, dieser Stolz, dieses ganz Besondere verwehrt. Keine Einschulung, keine Taufe, keine Jugendweihe. Keine Urlaube, keine Babysitterabende, keine Zoobesuche. Nicht noch einmal Kinder ganz nah aufwachsen sehen, mit der Gelassenheit und Lebenserfahrung des reifen Alters.
Vom Unerfüllten Kinderwunsch ist viel die Rede. Gibt es ein Wort für die Eltern, die nicht Großeltern werden, obwohl sie sich dies sehr wünschen? Unerfüllten Enkelwunsch nenne ich es. Für Sie, die älteren Menschen mit unerfülltem Enkelwunsch, schreibe ich diesen Artikel.
Viele Jahre haben Sie vielleicht gewartet, gehofft, dass es schon irgendwann passieren möge.
War es ein Thema zwischen Ihnen und der Tochter, dem Sohn? Wissen Sie um die Lebensentscheidungen oder auch Enttäuschungen in deren Leben? Haben diese sich bewusst für Kinderlosigkeit entschieden oder war da einfach nie der oder die Richtige für eine Familiengründung?
Möglicherweise gehört Ihre Tochter / Ihr Sohn zu der inzwischen immer größer werdenden Gruppe derer, die sich sehnlichst ein Kind wünschen, die jahrelange erfolglose medizinische Behandlung und vielleicht sogar etliche Versuche von künstlicher Befruchtung hinter sich haben? Konnten Sie das ständiges Auf und Ab der Gefühle, das Schwanken zwischen Hoffnung und Enttäuschung mit erleben?
Wie auch immer die Lebenssituation der Söhne und Töchter ist, deren Kinderlosigkeit macht Sie zu „verwaisten Großeltern“. Was kann helfen? Es braucht ein Abschied nehmen von der Idee der Großelternschaft, ja, auch ein Betrauern dessen, was nicht erlebbar ist darf Raum finden. Wenn Sie darüber sprechen können ist das sehr wertvoll.
Können Sie sich eingestehen, dass es Ihnen etwas ausmacht, wenn zum Beispiel stolze Großeltern ihr Handy zücken und die neuesten Babyfotos oder Bilder von den pfiffigen Enkeln herumreichen? Oder die gleichaltrigen Freundinnen viel beschäftigt sind mit Großmutterpflichten?Wenn diese mit der jungen Familie in den Urlaub fahren, tolle Sachen unternehmen, mal wieder eine Verabredung absagen müssen, weil die Enkel im Vordergrund stehen?
Was gibt dem Leben Sinn, nach der Phase der Berufstätigkeit? Diese Frage stellt sich für Sie noch intensiver, wenn Ihr Alltag nicht durch Großelternaktivitäten geprägt ist. Was kann bereichern und erfüllen? Reisen, Garten, Tiere, soziales Engagement? Gibt es andere Kinder, denen Sie sich widmen können? Hausaufgabenbetreuung, ehrenamtliches Engagement in Projekten mit Kindern, der alleinerziehenden Nachbarin Babysitting anbieten? Ein Leben in einem Mehrgenerationen-Wohnprojekt? Regelmäßig in den nahen Kindergarten oder den Hort gehen und den Kleinen vorlesen?
Wenn es Ihnen gelingt Abschied zu nehmen vom Wunsch nach den eigenen, den leiblichen Enkeln, wenn statt dessen andere Kinder aus Ihrem Umfeld einen Platz in Ihrem Leben finden, dann macht es vielleicht auch wieder Freude, all diese Bilder der stolzen Jungen und Mädchen mit ihren Schultüten zu sehen.