Ab Februar 2017 schreibe ich regelmäßig für die Seniorenredaktion der Thüringer Allgemeinen. In meinem ersten Artikel stelle ich ein mutmachende Buch vor: „WAS GEHT….Aktivitäten und Potentiale von Menschen mit Demenz“.
Was geht noch bei Demenz?
Betroffenen Freude ermöglichen
Gerne denke ich an die Tanznachmittage im Weimarer Seniorenheim. „Tanzfreudige Menschen gesucht, die unsere bewegungsfreudigen Bewohner zu beschwingter Musik sicher auf der Tanzfläche führen“. Keine Frage, das war ein Aufruf, dem ich nur zu gerne gefolgt bin.
Ich lernte schnell, mich den Möglichkeiten der jeweiligen Tanzpartnerin anzupassen. Mal vorsichtig hin und her wiegend, mal lebhafter. Die Freude in den Gesichtern, die Geschichten über lange vergessene Tanzfreuden mit ihren meist schon verstorbenen Partnern berührten mich tief und ließen mich dankbar nach Hause gehen.
Dass Bewegung und Musik für Menschen mit Demenz eine wichtige Ressource und Bereicherung im Alltag sind, hat längst Eingang gefunden in der ambulanten und auch stationären Betreuung.
Demenz führt, neben Krebs, noch immer die Liste der Ängste an, auch wenn sich der Umgang mit der Erkrankung glücklicherweise sehr verändert hat: Stand früher die Betonung der Defizite im Vordergrund, so ist heute der Blick auf das Potential gerichtet. Den betroffenen Menschen Teilhabe und Freude am Leben zu ermöglichen trotz des Verlustes von geistigen Fähigkeiten und ihnen Angebote zu machen, die dem individuellen Temperament entsprechen, dafür gibt es heute schon zahlreiche wegweisende Beispiele.
Ein solcher Mutmacher ist der kürzlich erschienene Bildband „Was geht…“ von Petra und Michael Uhlmann, die selbst langjährige Erfahrung in der eigenen Familie mit der Krankheit Demenz gemacht haben. Der Fotograf und die Autorin stellen verschiedenste Gruppenaktivitäten vor, die uns zunächst staunend fragen lassen: Geht das? Radtouren, Kanufahren, Steinbildhauern für Menschen mit Demenz?
Doch die einfühlsamen Fotos und Berichte belegen es, zeigen die Freude der betroffenen Menschen und lassen auch die begleitenden Ehrenamtlichen und Organisatoren zu Wort kommen. Wir erfahren, was geht, und wie viel Befriedigung das gemeinsame Erleben bringt, aber auch, was es dafür braucht: hohen persönlichen Einsatz, Flexibilität und Geduld.
Radfahren. Da ist vieles möglich. Eine mehrtätige Gruppenradtour mit den (Früh-) Erkrankten oder
begleitete Einzelradtouren für diejenigen, die von Gruppenaktivitäten überfordert wären. In späteren Stadien der Erkrankung bietet sich dann Tandem-Fahren an.
Oder die Kanutouren auf der Weser als ein regelmäßiges Angebot der dortigen Alzheimer-Gruppe. Wie viele Boote, welche Route, wen setzt man mit welchem Begleiter ins Boot – dies will bedacht und geplant sein. Und dann: Vorsichtig einsteigen, Wasser marsch und die Stille der Natur genießen. Zufriedene Gesichter, ein glücklicher Tag.
Mein Lieblings-Porträt ist das der 105-jährigen Klavierspielerin Elfriede Linsel, die heute in einer Berliner Wohngemeinschaft lebt. Eine bewegte Biographie: In den 30er-Jahren arbeitete sie als Friseurin, zu DDR-Zeiten als Kranführerin in schwindelnder Höhe. Schon als Kind durfte sie Klavier spielen, und heute ist es die Musik, die sie aus der Tristesse des Alltags heraus lockt. Kaum sitzt sie am Klavier, kommen Leben und Begeisterung in diese zarte Frau. Sie nimmt ihr Publikum mit in die Welt von Schlager und Operette, genießt die Beachtung und den Applaus. Spielt beim Alzheimersalon, oder einfach mal so, zuhause, wenn die Pflegerin sie aufmuntert und erinnert: „Spielen Sie doch mal, Frau Linsel!“
Der Bildband mit seinen vielen Beispielen macht Mut auszuloten, was betroffenen Menschen gut tut und was geht….Erst gestern ist mir beim Einkaufen wieder mal der Mann aus dem nahen Seniorenheim begegnet, der, trotz seiner Demenz, täglich mehrfach alleine seiner Wege geht. Gesichert mit einer gelben Warnweste, läuft er und läuft. Wie gut, dass das geht…..
Petra und Michael Uhlmann
Was geht … –
Aktivitäten und Potenziale von Menschen mit Demenz
Ein Buch über Menschen in Bewegung
www.edition.uhlensee.de